1504: Ein Augenzeuge berichtet

    Hans Glaser aus Urach ist Büchsenmeister und nimmt auf württembergischer Seite 1504 an der Belagerung Brettens teil. Spätestens 1505 beschreibt er den Kriegszug in Gedichtform. Historiker lieben solche Primärquellen, denn die sind besonders authentisch, so etwas ist eine direkte Spurensicherung. Eine Primärquelle ist wertvoll, weil sie nicht Jahrzehnte oder Jahrhunderte später vom hören-sagen als Sekundärquelle zusammengetragen wird und bei jeder Weitererzählung eine zusätzliche Färbung erhält, sondern direkt von einem Beteiligten selbst erlebt und aufgeschrieben wird. Bibelforscher kennen dieses Dilemma zu gut. Hans Glaser beschreibt natürlich einseitig die württembergische Sichtweise, aber objektive Zeugnisse gibt es in der Geschichtsschreibung nicht. Seine Schilderung ist eine wertvolle Ergänzung zur kurpfälzischen Sichtweise, der Schwarzerdt Chronik. Damit das Lesen leichter fällt, habe ich das Original etwas an unsere heutige Sprache angepasst (damit wird der folgende Text zur Sekundärquelle). Abgedruckt wird hier ein Auszug, die vier Originale liegen in Augsburg, Wolfenbüttel, München und London. Das Gedicht ist im Netz zu finden und natürlich bei der VAB. Mein Dank für die fachkundigen Hinweise geht an Hermann Fülberth, Wolfhard Weihmann und Uli Reich. (Stefan Oehler)

    Ain hübscher Spruch vonn dem württembergischen Krieg

    Wie Herzog Ulrich von Württemberg mit seinem Heer bekriegt hat Herzog Philipp Pfalzgraf bei Rhein und ihm abgewonnen Städte, Schlösser und Dörfer, nämlich hiernach folgende: Maulbronn, Knittlingen, Brettheim, Besigheim, Löwenstein, Neuenstadt, Weinsberg, Widdern, Möckmühl, Ingersheim, Grossgartach. Und will Dörfer und das ganze Kraichgau und ist der ganze Krieg nun angestellt.

    Merket hier ein neues Gedicht
    Des bin ich gänzlich unterricht
    Als man von Christ Geburt für wahr
    Zählt tausend fünfhunder und vier Jahr
    Understund man einen großen Streit
    In dieser oben gemeldeten Zeit
    Einem großen Löwen widerstan
    (Kurpfälzer)
    Dem Pfalzgraf, dem ungehorsamen Mann
    Der lang geführt hat grosse Pracht
    Den König, Fürsten, Herren all veracht
    Dem Papst wollt er widerstan
    Er kehrt sich nit an Acht noch Bann
    (Acht durch Kaiser, Bann durch Papst)
    Nun ist ihm worden abgeseyt
    (abgesagt, Kriegserklärung)
    Württemberg hat er tan groß Leid
    Dass hat er trieben früh und spat
    Sein Feind er auf enhalten hat
    (unterstützen)
    Das man worin het keinen Fried
    Den Talacker und den Lindenschmid
    (Raubritter Talacker von Massenbach,
    Räuber Lindenschmid 1490 hingerichtet,
    pfälzische Dienstmänner)

    Die Hand sie braucht zu Fuß und Pferd
    Und dazu den Heßlin Schwert
    (pfälzischer Dienstmann)
    Die hat man aufgehalten überall
    Sonderlich in dem Weinsberger Tal
    Da hand sie manche Beut erennt
    Darum man viel Dörfer hat verbrennt
    Und ettliche Schloß gewonn
    Man hat sich auch aufgehalten zu Maulbronn
    Das ziemet keinem Gotteshaus
    Herzog von Württemberg zog aus
    Mit seiner Landschaft weit und breit
    Jedermann war willig und bereit
    Württemberg liess fliegen seine Fahn
    Dem großen Löwen widerstand
    Da gesah man neues hübsches Heer
    gerüst mit Harnisch und mit Wehr
    Dreissig Tausend meld ich für wahr
    In diesem oben gemelten Jahr
    Nun merket dass ich nit leug
    Auch hat er ein großen raisigen Zeug
    (Reiterei)
    Das darf ich für ein Wahrheit sagen
    Die erste Wagenburg ward (auf)geschlagen
    Vor Vaihingen hoch auf einem Rain
    Da nahm man das erste Lager ein
    Ist manchem Mann wohl bekannt
    Viel Dörfer hat man da verbrannt
    Danach wollt man tun ein Sturm
    Man rückt für einen festen Turm
    Acht ich auf dreitausend Mann
    Mit Geschütz wannt man den Turm an
    Die Wagenburg tut man rücken für
    Dem Abt von Maulbronn vor die Tür
    Bald schoss man ab die ersten Gwehr
    Da ruckt man fürbas mit dem Heer
    Mit den Büchsen hinter die Mauern
    Da was man schiessen on alles trauern
    Schlangen, Kartaunen richt man an
    (langrohriges Geschütz Kaliber 9-12 cm,
    Kartaune Kaliber 15-18 cm)

    An die obern Wehr liess man sie gan
    Aus dem Bollwerk schoss man mit Mut
    Der Pfalzgraf hat verbauen groß Gut
    Und meint er wollt sein Wohl geniessen
    Ein Fürst müsst sich arm daran schiessen
    Eh er zu dem Bollwerk käm
    Ich will geschweigen dass er`s Kloster gewänn
    Sie schossen heraus mit Abenteuer
    Aus dem Bollwerk mit brennendem Feuer

    Ein Hauptstück liess man zu ihm gan
    (schweres Geschütz)
    Da mochten sie kein Ruh nit han
    Das hat Gott der Herr erkennt
    Dass des Bollwerk ward verbrennt
    Darauß täten sie nit mehr schaden
    Die Hauptstück tät man alle laden
    Und liess sie wider die Mauern gan
    Sie klopften gar untugendlich an
    Maurfell hat den ersten getan
    (Kanone, Hauptstück)
    Hienach liess man die Rosen gan
    (Kanone, Hauptstück)
    Das Klostern was so wohl gebauen
    Das einem noch darab möchte grauen
    Wenn er ein Sturm da sollt tan
    Herzog Ulrich sagt das an
    Keinen Kosten wollt er da sparen
    Mit den Stücken täten sie fahren
    Die Ulmerin war im Land ein Gast
    (Kanone, Hauptstück)
    Durch die Mauern drang sie fast
    Nürnbergerin war die viert
    (Kanone, Hauptstück)
    Sie hand mit dem Abt disputiert
    Dass er selber het verschworen
    Dass er das Kloster het verloren
    Ich will es für ein Wahrheit sagen
    Es ward gewonnen in sieben Tagen
    (Maulbronn ergab sich am 4. Juni 1504)
    Da liess man sich kein Kosten tauern
    Man thet sie mustern die Kölblins Bauern
    Dass sie im Kloster nit hätten gemach
    Man zerschoss Bastei und alle Dach
    Und tät sie von den Wehren treiben
    Dass hier keiner mocht sicher bleiben
    Er wär Wagner oder Schmied
    Die Mönche hätten selbst kein Fried
    Die Büchsen wurden hart geladen
    Das bracht den Türen und Mauern Schaden
    Dass sie fielen oben ein
    Ihr keiner trauet sicher sein
    Ein Büchs die hat ein Schuss getan
    Das soll man für ein Wunder han
    Hinter dem Fronaltar das ist wahr
    Ein Pfosten traf sie ganz und gar
    Dass das Glas alles zerbrach
    Und dem Altar kein Leid beschach
    Noch liess man eine nach ihr gan
    Sie haben beid kein Schaden tan
    Des sollen wir Gott danken seiner Ehren
    Dass er unsrem gnädigen Herren
    Hat verliehen den ersten Sieg
    Gott will dass er alleweg oblieg
    Von Maulbronn hat man aufgebrochen
    Am Dornstag in der Ablasswochen
    (6. Juni)
    Für Knittlingen auf dem Brachfeld
    Da richt man auf manig Zelt
    Weiter will ich melden mehr
    Die Wagenburg rückt man an den See
    Da wollt man der Feind warten
    Am Samstag brannt man Weingarten
    (Weingarten bei Durlach)
    Als ich meld zu diesen Zeiten
    Am Sonntag tät man Brettheim bereiten
    (9. Juni, auskundschaften)
    Ob man ein gutes Lager fünd
    Am Montag kam ein großer Wind
    Als ich jetzt will melden
    Der warf um schier alle Zelten
    Ist manchem Mann wohl wissen
    Viel der Zelten wurden zerrissen
    Auch ward manchem grausen

    Am Erichtag rückt man vor Gölshausen
    (Dienstag, 11. Juni)
    Tu ich euch wahrlich sagen
    Da ward die viert Wagenburg (auf)geschlagen
    Daneben auf dem Feld
    Acht ich auf dritthalbhundert Zelt
    (250)
    Der Hütten waren also viel
    Dass ich sie selbst nicht rechnen will
    Weiter tu ich euch sagen
    Drei und siebzig und zweitausend Wagen
    Die wir zu der Wagenburg braucht haben
    Mit einem Zug gemacht so frei
    Mit viel hübscher fester Bastei
    In einem Hohlweg bei einem Baum
    Da sahen wir die von Brettheim
    Die Schlangen richt man zum ersten an
    Und liess sie zu den Türmen gan
    Darauf sie hatten ihr höchste Gwehr
    Daraus sie schossen in das Heer
    Auf den einen steckten sie ein Fahn
    Den ich herab geschossen han
    Sonderlich mit meiner Schlangen
    Nun hört wie ist es weiter gangen
    Das werd ihr merken in mein Gedicht
    Die Schirm da wurden aufgericht
    (beweglicher, hölzerner Schutzschild)
    Die Hauptstück wurden gericht zum Sturm
    Zwei, die besten an ein Turm
    Die zwei man hat gestellt in Graben
    Die andern kein Gebüsch mehr haben
    Und Feind zerschossen an allen Orten
    Da schanzt man schier bis zu der Pforten
    (schanzen = Erdarbeiten)
    Auch blieb die Mauer nicht mehr ganz
    Da fing man an ein ander Schantz
    Als ich euch für ein Wahrheit sag
    Am Freitag vor Peter und Pauls Tag
    Fing man ein Scharmützel an
    Acht ich wohl auf hundert Mann
    Auf beid Teil erschlagen und gefangen
    Da verlorn wir ein Karthaun und ein Schlangen
    Die kamen gen Brettheim in die Stadt
    Gut was da ihr eigner Rat
    Dass sie es gaben wieder heraus
    Sonst hätten sie gelitten großen Strauß
    (Kampf)
    Denn Herzog Ludwig wollt für kommen
    Er ist besorgt, die Stadt wurd eingenommen
    Vor Herzog Ulrich er erschien
    (2. Juli im Lager bei Knittlingen)
    Er bat und wisst nit größern Gewinn
    Dass er da sollt lassen ab
    Die Stadt war sein Morgengab
    (Ludwigs Hochzeitsgeschenk an
    seine Braut Sibylle von Bayern-München)
    Der edel Fürst von Natur und Blut
    Ward da bewegt in seinem Gmut
    Bewieß Herzog Ludwig da die Gnad
    Und sah nit an seins Vaters Tat
    Hät das der alte Pfalzgraf getan
    So bedürft man diesen Krieg net han
    Gott fristet Herzog Ulrichen sein Leben
    (hoch lebe Herzog Ulrich)
    Die Stadt ward on ein Richtung ergeben
    (ohne Parteinahme in diesem Krieg)
    Und gemacht zu einem stären Fried
    Ich bin der Hoffnung sie brechen ihn nit
    Da will ich Brettheim lassen stan
    Am andern Tag zog man davon
    Dem alten Lager wieder zu
    Da blieb man drin bis morgen fruh
    Gen Besigheim zog man auf die Fahrt
    ...... usw. usf.

    Interpretation der abgebrochenen Belagerung

    23 Tage Belagerung von Bretten kostet Herzog Ulrich eine Menge Geld, zerstörte Kanonen, zerrissene Zelte und einige Soldaten. Ludwig V von der Pfalz, Sohn von Kurfürst Pfalzgrafen Philip dem Aufrichtigen, kommt kurz vor der Einnahme nach Bretten und trifft Ulrich am 2.7.1504 in dessen Feldlager. Nach langen Verhandlungen wird Bretten überraschend verschont, denn Bretten ist eine „Morgengab“, also ein Hochzeitsgeschenk von Ludwig an seine Verlobte Sidonie von Bayern-München. Diese wird allerdings 1505 sterben, noch bevor er sie heiraten kann. Ludwig wird daraufhin 1511 ihre Schwester Sibylle von Bayern-München heiraten. Sidonie und Sibylle sind wiederum Schwestern von Ulrichs Braut Sabina von Bayern-München, mit der Ulrich bereits seit 1498 verlobt ist und die er 1511 heiraten wird. Es handelt sich also bei der Verhandlung um Bretten um eine „Familienangelegenheit“. Das Verhandlungsgeschick des 26-jährigen Ludwig besteht darin, den 17-jährigen Ulrich zu überzeugen, dass bei einem Streit um Bretten zwei Schwestern des Herzogtums Bayern-München involviert wären, die Braut von Ulrich und die Braut von Ludwig. Da der römisch-deutsche König Maximilian der Onkel der beiden Schwestern ist, würde er bei einem Streit als Schlichter eingeschaltet werden müssen. Offensichtlich kann Ludwig überzeugen, dass eine Entscheidung zugunsten der Morgengab an Sidonie wahrscheinlicher wäre als eine offizielle Anerkennung Brettens als Kriegsbeute. Ulrich muss das abwägen, gibt daraufhin die teure Belagerung auf und schreibt die Kosten ab, obwohl er kurz vor der Einnahme Brettens steht. Die abgebrochene Belagerung ist für die Brettener ein glückliches Zusammenspiel aus wirkungsvoller Verteidigung, einem mutigen Ausfall, mit dem wichtige Zeit gewonnen wurde, haarscharfem Timing und dem Verhandlungsgeschick Ludwigs.

    Ulrich wird im weiteren Verlauf seines Kriegszuges noch viele Dörfer und Städte einnehmen, darf die meisten Eroberungen auch behalten und kann sein württembergisches Herzogtum deutlich vergrößern. (Stefan Oehler)

    Kriegszug Herzog Ulrich von Württemberg 1504
    Kurfürst Ludwig V von der Pfalz
    Herzog Ulrich von Württemberg
    Newsletter
    Ja, ich möchte "Die Trommel" kostenlos und unverbindlich erhalten.