Exkurs zum Glaser Gedicht: Ein hübscher Spruch von dem württembergischen Krieg
Das württembergische Heer hatte angeblich eine Stärke von 30.000 Personen. Die Angabe könnte ein wenig übertrieben sein, denn 30.000 ist eine gewaltige Menge für ein Herzogtum wie Württemberg. Das Verhältnis von Kämpfern zu Tross betrug im 16. Jhdt. höchstens 2:1, somit kamen auf zwei Kämpfer ein Tross Anhang, welcher aus Huren, Buben, Handwerkern, Gauklern, Köchen, Krämern, Händlern, Wirten, Metzgern, Sudlern usf. bestand. Die Angabe 30.000 dürfte somit Heer und Tross umfassen. Dem standen in Bretten 2000 Bürger plus 1500 Mann Verstärkung gegenüber.
Der Erfolg eines solch gewaltigen Heerzugs entscheidet sich über einen lückenlos funktionierenden Nachschub. Hier gilt das gleiche wie bei den meuternden Landsknechten in der belagerten Stadt Bretten. Wenn es keinen Sold, nichts zu essen und nichts zu trinken gibt, dann führt das in kürzester Zeit zur Meuterei. Kriege werden nur gewonnen, wenn die Logistik lückenlos gesichert werden kann. Das gilt bis heute. Damit 1504 alle 30.000 Personen satt werden konnten, mussten jeden Tag folgende Größenordnung herangeschafft werden:
Tagesbedarf
45.000 Liter Bier, Wein, Wasser
27.000 kg Erbsen, Linsen, Bohnen, Gemüse
22.500 kg Brot, Hafer, Gerste, Roggen, Weizen
19.000 kg Fleisch, Wurst, Fisch
6.000 kg Käse, Milchprodukte
1.500 kg Schmalz, Speck, Butter, Öl
1.200 kg Eier
300 kg Salz, Gewürze, Kräuter
Bei diesem beträchtlichen Tagesbedarf wird deutlich, dass sich solche Mengen nicht eben mal organisieren geschweige denn einkaufen ließen. In den heißen Junitagen fehlten auch Keller oder Kühlwägen, in denen man die verderblichen Waren während der zwei Wochen Belagerung hätte frisch halten können. Wie konnten Heer und Tross überhaupt verpflegt werden?
Die Brettener Peter-und-Pauler konnten das mit ihrer experimentellen Geschichtsforschung, dem nachgestellten Tross 2004 am eigenen Leibe ausprobieren. 340 Personen zogen vier Tage lang auf der original Route vom Illinger Feld über Maulbronn bis zum Steger See bei Knittlingen. Mario Fuchs war damals in seiner Funktion als Proviant Meister einer der wichtigsten Männer im Tross. Jede Rotte erhielt täglich von ihm einen Sack Proviant, mit dem sie sich selbst versorgen musste. Hätte er damals nicht ausreichend geliefert oder für das Fest im Klosterhof Maulbronn nicht rechtzeitig 1000 Liter Bier organisiert, wäre die Feier trocken gelaufen und er am Pranger gelandet.
Allerdings ließ ein Kriegsherr im 16. Jhdt. selten sein Heer zentral mit Proviant versorgen. Das musste alles vom Tross privatwirtschaftlich organisiert werden. Wer etwas zu essen oder zu trinken haben wollte, der musste dafür innerhalb des Trosses bezahlen. Aber wo sollten die Kämpfer das Geld und die Köche und Wirte all die Verpflegung hernehmen? Die einzige Lösung bestand darin, regelmäßig ein Dorf zu überfallen, um Geld und Vorräte zu plündern. Nur so waren die 30.000 Menschen immer wieder satt zu bekommen.
Die Plünderungen von beispielsweise Maulbronn, Knittlingen, Gölshausen oder Weingarten mussten von den Hauptleuten und ihrem Profos genau eingeplant, durchgeführt und kontrolliert werden. Die Aufgabe des Profos war es, den Handel innerhalb des Lagers zu überwachen, dies entsprach dem Marktmeister in einer Stadt. Eine gerechte und gleichmäßige Verteilung von erbeutetem Geld und Verpflegung war sicher zu stellen, denn der gesamte Tross musste die nächsten Wochen davon leben. Man wusste ja nie, wann die nächste Plünderung kommen würde und wie lange man von der letzten Beute zu zehren hatte. Während der 16- oder 23-tägigen (?) Belagerung von Bretten (hier macht wohl die Schwarzerdt Chronik falsche Angaben zum Datum, die es zu überprüfen gilt) waren keine größeren Plünderungen möglich, da sich alle Kämpfer auf die Belagerung konzentrierten. Mitten in diesem heißen Sommer musste man 2 Wochen lang ohne Kühlung von den erbeuteten Vorräten leben.
Lager Hygiene
Die Belagerung Brettens begann wohl erst am 18. Juni. Die Schanze für die schweren Kanonen wurde geschützt von 500 Schanzkörben auf einer Nussbaumwiese Hans Reuters (Melanchthons Großvater) hinter dem Pfeiferturm im Bereich des heutigen Friedhofs - Am Schänzle aufgebaut. Die Wagenburg hingegen mit über 2000 Wagen, 250 Zelten und unzähligen Hütten wurde für den Tross westlich vom Gölshäuser Dorfbach (Kupferhälde) errichtet wurde. Das Lager war alles andere als hygienisch. 30.000 Menschen drängten sich am Gölshäuser Bach, der nächsten erreichbaren Wasserquelle, um Trinkwasser zu holen oder sich ab und zu ein wenig zu waschen. Von Entsorgung oder Kanalisation war keine Rede, letztendlich wurde vieles im Bach entsorgt, der wiederum der Versorgung diente. Jeder verrichtete seine Notdurft wo immer er konnte. Die wachsenden Müllhaufen lockten immer mehr Ungeziefer an, es musste inmitten der Juni Hitze entsetzlich gestunken haben. Nach zwei Wochen Lagerleben drohten daher Krankheiten wie Durchfall und Erbrechen durch Typhus, Cholera oder Salmonellen. Jede weitere Woche in diesem Lager hätte mehr Ausfälle verursacht als alle bisherigen Kampfhandlungen.
Diese Masse an Menschen musste stetig weiterziehen, um solche unhygienischen Zuspitzungen hinter sich zu lassen. Nach 2 Wochen Belagerung von Bretten brannte es daher Herzog Ulrich unter den Nägeln, so schnell wie möglich zu einer Lösung zu kommen, um endlich das verseuchte Lager verlassen zu können. Auch das wird ein wichtiger Aspekt bei den Waffenstillstands Verhandlungen mit Ludwig V gewesen sein. Nach der abgebrochenen Belagerung zogen Heer und Tross erst einmal wieder zurück zum Steger See nach Knittlingen. Der See war wohl dringend erforderlich, um wieder ein Mindestmaß an Hygiene für die 30.000 Menschen herstellen zu können.
Stefan Oehler
- Glaser Reimchronik, Ein hübscher Spruch von dem württembergischen Krieg
- Alfons Schäfer, Geschichte der Stadt Bretten Bd. 2
- Leo Vogt, 1504, Die Chronik des Georg Schwarzerdt,
- Fact Production, Der Tross, historische Heerzug 1504,
- Klett Verlag, Geschichte und Geschichten, Frühe Neuzeit
- Mario Fuchs, Proviantmeister im Tross 2004, Angaben zur Verpflegung
- REWE, Tagesbedarf Nahrungsmittel für einen körperlich arbeitenden Erwachsenen
- topografische Karte von Bretten und Gölshausen mit Bachläufen
- Stadtplan von Bretten und Gölshausen mit Verlauf der Stadtmauer um 1500
- Selbstversuch, Teilnahme am viertägigen Tross 2004
- Hinweise von Uli Reich, Wolfhard Weihmann und Hermann Füllberth
- Sparkasse Bretten, Ausstellungskataloge zum Peter-und-Paul-Fest
- Christopher Retsch, Die Belagerung der Stadt Bretten 1504
- Gregorianischer Kalender, die Wochentage im Juni 1504